30.09.2019
Uraufführung eines Auftragswerks des RIAS Kammerchors Berlin im Abschlusskonzert des HEINRICH SCHÜTZ MUSIKFESTS
Interview mit dem Komponisten Torsten Rasch
Lieber Herr Rasch, Sie haben einen im positiven Wortsinn kindlichen
Zugang zu Schütz erfahren als Kruzianer. Wie blicken Sie heute, selbst als
Komponist, auf das Schaffen des Sagittarius? Gibt es etwas an ihm, das Sie für
Ihr Komponieren als vorbildhaft beschreiben würden?
Torsten Rasch: Ich sage
sicherlich nichts Neues wenn ich hervorhebe, dass Schütz‘ Umgang mit Sprache
unvergleichlich war und bei mir – sicher unbewusst – einen tiefen Eindruck
hinterlassen hat. Dass ich bis heute am liebsten für Stimme schreibe und Texten
eine musikalische Interpretation verleihe, ist sicher darauf zurückzuführen.
Die Lukaspassion gehört zu jenen faszinierenden späten Werken von
Schütz, die durch eine Ästhetik der Reduktion bestechen; keine Note scheint zu
viel. Welche Überlegungen stellten Sie an, um doch etwas hinzuzufügen.
TR: Eben genau wegen
dieser radikalen Reduktion der Mittel in Schütz’ Passion war mir von Anfang an
klar, dass ‚Hinzufügen‘ dem Werk nur schaden kann und ihm viel von seiner
Faszina tion nehmen würde. Mein Ansatz
war daher, im Text der Lukaspassion
Plätze zu finden, die einladen zum Meditieren, zum
‚Innehalten‘ ähnlich wie es z. B. Augustinus in seinen Meditationen tut. Als Leitgedanke diente mir dafür ein Gedanke aus dem
apokryphen Buch Enoch: Gott machte sich sieben Elemente zu Nutze, um den Menschen
zu schaffen. Einerseits führte mich das musikalisch in ein vollkommen anderes
Territorium, andererseits ist die Idee des Kreuzes – der Passion – unauflösbar
mit dem Baum des Lebens – der Schöpfung – verbunden.
Sie nennen Ihr neues Werk Interpolation. Musikalisch
gesehen bedeutet dieser Begriff einen abrupten Wechsel von kompositorischen
Elementen. In der Literaturwissenschaft wiederum bezeichnet es einen Eingriff
in den Text, bei dem weder Umfang des Eingriffs noch eingreifender Autor
kenntlich gemacht sind. Welche Lesart würden Sie für Ihren Ansatz bevorzugen?
TR: Der abrupte
Wechsel von kompositorischen Elementen ist sicherlich – ja unausweichlich –
vorhanden. Aber die Interpolationen beziehen sich zu allererst auf den Text. Um noch ein Beispiel anzuführen: In der Passionszeit werden an
vielen Orten Meditationen über die Stationen des Kreuzwegs durchgeführt. Von
vornherein war mein Ansatz, dass diese Interpolationen für sich stehen als
Kommentar zum Text
der Lukas-passion.
Während Schütz dem Text eine musikalische Gestalt verleiht, ist mein Beitrag
unabhängig davon ein Pausieren an einer bestimmten Stelle des Textes, die uns
in eine ‚andere Welt‘ mit einer anderen Sprache – musikalisch und poetisch –
entführt.
Apropos Ansatz: Wie müssen wir uns die Zusammenarbeit
mit Helmut Krausser vorstellen, der sehr eindringliche Gedichte zur Vertonung vorgelegt
hat? Zumal er selbst auch komponiert.
TR: Ich bin ein
großer Bewunderer der Bücher Helmut Kraussers. Die Idee, sieben Gedichte über die
sieben Elemente der Schöpfung im Zusammenhang mit dem Text der Lukaspassion zu schreiben, hat ihn zu wunderbarer Poesie animiert. Es gab für
manche Texte zwei Versionen und ich habe mich immer für die entschieden, die am
‚weitesten’ weggeführt hat. Dass Krausser auch selbst ein außerordentlicher
Komponist ist, der weiß, wie ein Text gesungen werden kann, ist ein großartiger
Bonus.
Täuscht der Eindruck oder haben Sie sich mehr als in
anderen Ihrer Werke in den sieben Interpolationen von Schütz’ rhetorischem Komponieren und der
Bildhaftigkeit seiner musikalischen Sprache anstecken lassen?
TR: Unbedingt. Aber
wie oben erwähnt, ist es immer mein Ziel, wie Schütz Sprache so plastisch wie
möglich zu interpretieren. Vieles von dem, was ich gelernt habe und was mir
auch heute noch eine unerschöpfliche Quelle ist, kommt von ihm.
Das Interview führte Dr. Oliver Geisler.
HEINRICH SCHÜTZ MUSIKFEST 2019
Abschlusskonzert
13.10.2019, 17.00 Dreikönigskirche Dresden
Komponist
und Librettist sind zur Uraufführung anwesend.