Für uns Nachgeborene sind längst vergangene Epochen stets seltsame Betrachtungs-„Gegenstände“. Manchmal ertappen wir uns bei dem Versuch „aus der Geschichte zu lernen“ und bleiben am Ende ratlos stehen. Denn wir vergessen, dass Geschichte nur die vergangene Gegenwart von Menschen ist, die vor uns gelebt haben, und dass wir uns diesem vergangenen Jetzt nur soweit annähern können, wie es die uns übrig gebliebenen Informationsquellen erlauben.
Mit Blick auf die MBM dürfen wir uns glücklich schätzen, dass eine geradezu überbordende Fülle an unterschiedlichen Informationsquellen die Stürme der Zeit überdauert hat und uns noch heute zur Verfügung steht. In vielen Städten und Dörfern haben sich überraschend umfangreiche Notenbestände und Archivalien erhalten, die uns einen tiefen Blick in das Musikrepertoire jener Zeit gewähren. Die heute bekannten Adjuvantenarchive, aber auch viele andere Sammlungen zeigen uns nicht nur ein lebendiges Musikleben selbst in kleinsten und entlegensten Orten oder die kreative Schaffenskraft von heute meist unbekannten Komponisten, sondern belegen eine intensive Vernetzung und einen kulturellen Austausch weit über die eigenen Erfahrungs- und Landesgrenzen hinaus. Fremde Musik und fremde Klänge waren nicht fremd, sondern interessant, inspirierend und weiterführend. Das machte Mitteldeutschland gerade in der Barockzeit zu einem Brennglas der europäischen Musikkultur.
Wir kennen die Namen unzähliger Kantoren, Organisten, Instrumentalisten oder Musikliebhaber, die in ihrer Zeit das Musikleben Mitteldeutschlands (und weit darüber hinaus) geprägt haben. Wir wissen um die Gedanken, die Visionen und Diskussionen um die richtige Weltanschauung, sogar um die Ängste und vergeblichen Hoffnungen, die die Menschen jener Zeit bewegten. Und wir glauben spüren zu können, welchen Anteil und welche Wirkung die Musik in ihren unterschiedlichen Schattierungen damals entfalten konnte. Der überlieferte Quellenreichtum ist somit ein wichtiges Echo einer Zeit, in der der Stellenwert der Musik offenbar weit umfassender war, als wir es heute noch erahnen können.
Die Schätze aus jener Zeit wieder zum Klingen zu bringen haben die MBM und ihre Mitglieder immer zu ihrem Hauptanliegen gemacht. Dieses erfolgreiche Engagement möge auch in Zukunft noch reiche Frucht bringen.
Dr. Christoph Meixner
© Mitteldeutsche Barockmusik in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen e.V.