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Die einzigartige kulturelle Dichte dieser Landschaft abbilden

Dr. Ingeborg SteinIn den frühen Neunziger Jahren suchte der Bund in den Neuen Bundesländern nach Musikeinrichtungen, die infrage kämen, in den Genuss einer Bundesförderung als Projekt eines sogenannten kulturellen „Leuchtturmes“ (der Barockmusik) zu kommen.
An mich gelangte die Nachricht über Dr. Wolf Hobohm, den Leiter des Telemann-Zentrums Magdeburg, der gleichzeitig Dr. Claus Oefner, den Leiter des Bachhauses Eisenach, und Dr. Edwin Werner, den Leiter des Händelhauses Halle, von der guten Nachricht informiert hatte. Im kleinsten Kreis kamen wir zunächst zusammen – meines Erinnern gehörten Dr. Wolfram Steude vom Schütz-Archiv Dresden sowie der Leiter des traditionsreichen Bach-Archivs Leipzig, Hans-Joachim Schulze, mit dazu wie auch Dr. Hans Grüß, der Leiter der Capella Fidicinia, des ersten Ensembles für Alte Musik in der ehemaligen DDR.
In einer Zeit, in der unsere Einrichtungen in höchster Gefahr standen, ihre Existenz zu verlieren, war die Nachricht einer möglichen Bundesförderung gleich einem himmlischen Hosianna…
Es ging zunächst darum, ein juristisch akzeptables „Gefäß“ zu finden, in das die zu erwartenden Gelder fließen konnten und dann zu überlegen, welche Einrichtungen außer den genannten weiterhin für die Förderung infrage kommen könnten.
Bevor ich auf Einzelheiten eingehe, möchte ich auf zwei Grundvoraussetzungen aufmerksam machen, die heute kaum mehr vorstellbar sind, aber entscheidend das Profil der MBM in ihren Anfängen bestimmten:
Erstens hatten in der DDR Einrichtungen, die sich der Musik des 17.und 18. Jahrhunderts widmeten, einen sehr schweren Stand, weil dieser Musik zumeist geistliche Texte zugrunde lagen, an deren Pflege und Verbreitung den DDR-Ideologen nicht gelegen war. Auf Johann Sebastian Bach hatte man sich zwar als internationales Aushängeschild der DDR-Kultur einigen können, seine Musik wurde unangefochten aufgeführt und gefördert, doch selbst bei ihm wie auch bei Händel und weiteren Zeitgenossen hatten in frühen Jahren der DDR Textumdichtungen stattfinden müssen, um sie überhaupt aufführen zu dürfen. Komponisten wie Heinrich Schütz, von dem ausschließlich Vokalmusik auf geistliche Texte erhalten war, wurden dagegen so gut wie tot geschwiegen. Erst 1987 war es nach langjährigen Bemühungen Wolfram Steude gelungen, endlich auch in der Schütz-Stadt Dresden ein Schütz-Archiv aufzubauen. Dass in Bad Köstritz das Geburtshaus dieses ersten deutschen Komponisten von internationaler Bedeutung 1985 als eine Forschungs- und Gedenkstätte eingerichtet werden konnte, ist zum einen dem Martin-Luther-Jahr 1983 zu verdanken, wo die DDR mit ihren Lutherstätten international hatte punkten können, zum anderen den Feierlichkeiten aus Anlass des Musikjahres 1985, in dem Bach und Händels 300. Geburtstag sowie der 400. von Heinrich Schütz zu feiern war. Angesichts des Tatbestandes, dass drei der bedeutendsten Komponisten Europas aus Mitteldeutschland stammten und erwartungsgemäß die „ganze Welt“ auf die DDR blicken würde, verbuchte man die zuvor so viel Anstoß erregenden Texte – jetzt großzügiger geworden – unter „kulturelles Erbe“.
In dem Zusammenhang kann die zweite wichtige Voraussetzung der MBM-Gründung nicht hoch genug eingeschätzt werden, und zwar dass die mit der Neu-Organisation befassten Gremien des Einigungsvertrages erkannt hatten, bei den Ländern Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt handele es sich um eine in sich geschlossene Kulturlandschaft, in der seit der Reformation die Musik eine einzigartige, (kirchen-) politisch wie (sozial-) geschichtlich, das gesamte Gemeinwesen umfassend prägende Rolle gespielt hatte und die daher unbedingt in ihrer Art zu erhalten sei.
Dass der Bund sich jetzt, nach der Wende, unseren zuvor so viel geschmähten und in elementarer Gefahr stehenden Häusern annehmen wollte, motivierte ungemein!
So setzten wir uns dankbar, ohne größere Probleme, zusammen und überlegten, wer außer den bereits anerkannten, großen Institutionen, wie die Bachstätten, für die Barockmusik-Pflege mit größeren und langfristigen Projekten befasst sein könnte oder wer nur für bestimmte Vorhaben kurzfristig Förderung benötigte.
Bei der versuchten Übersicht kam uns selbst das Staunen an, wie vielschichtig und vielfältig sich die mitteldeutsche Landschaft zeigte! Fast in jedem Ort war ein Musiker geboren worden oder hatte hier gewirkt, der in der Musikgeschichte Rang und Namen gewonnen hatte. Beispiellos diese Dichte! Doch es gab ja auch noch die Chöre, die zu fördern waren, die Ensembles Alter Musik, die sich teils auch erst nach der „Wende“ gegründet hatten, und so interessante Orte wie Goldbach bei Gotha, in dessen Pfarrarchiv einzigartige Musikbestände lagerten, die der sachgemäßen Aufarbeitung und Pflege bedurften – und vieles anderes mehr…
Zunächst nannten wir unsere Organisation übrigens reichlich umständlich „Ständige Konferenz mitteldeutscher Barockmusik“, in Kurzfassung MIBAMU. Ihren Sitz nahm sie in Kloster Michaelstein in Sachsen-Anhalt, wo wir auch unsere regelmäßigen Zusammenkünfte abhielten. Nachdem die juristische Form eines Vereins gefunden war, suchte der gegründete Vorstand mit einer hauptamtlichen Geschäftsführerin, Dr. Claudia Konrad, aus der Vielzahl der Anträge so genannte A- und B-Projekte herauszufiltern. Schwerpunktvorhaben waren die Denkmälerausgaben, aber neben anderen Vorhaben auch die so lange vernachlässigte Pflege und Bekanntmachung der Musik von Heinrich Schütz. Hier hatte unsere, ja noch gar nicht so lange existente Einrichtung in Bad Köstritz mit ihren jährlich stattfindenden „Köstritzer Schütztagen“ Vorarbeit geleistet. Da auch das Weißenfelser Schütz-Haus, unterstützt von einem tüchtigen Trägerverein, mitzog und Dresden mit dem Kreuzchor unser Partner wurde, konnten wir sie länderübergreifend bald zu „Mitteldeutschen Heinrich-Schütz-Tagen“ ausweiten.
Von Köstritz ging auch der von den anderen Musikstätten gern gebrauchte Terminus des „Exponat Musik“ aus, der ermöglichte, die Vielfalt musikbezogener Vorhaben unter einen Nenner zu bringen. Die Musik selbst in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen (und nicht nur ihre „Mittler“ !) verlangte, dass von der Quellenarbeit ausgehend, die Musik in den Möglichkeiten ihrer aufführungspraktischen Aufbereitung bis hin zu den Modalitäten ihrer Aufführung und schließlich den Bedingungen ihrer Rezeption neu durchdacht und erforscht wurde. Beispielhaft gründete sich deshalb im Geburtsort von Heinrich Schütz eine SCHÜTZ-AKADEMIE, seit 1994 e.V., die unter der Leitung ausgewiesener Experten der Alten Musik wie Wolfram Steude, Wolfgang Katschner, Howard Arman, Roland Wilson oder Wolfgang Helbich Arbeitstreffen veranstaltete und Neu-Einspielungen vornahm. So konnte z.B. die von Christoph Wolff wieder aufgefundene ominöse Motetten-Sammlung des 116. Psalms von Burkhard Großmann „Angst der Hellen und Friede der Seelen“ ( 1623), die 16 Kompositionen aus dem Jahr 1616 aus dem mitteldeutschen Raum in sich vereinigte, 1995 zur Ersteinspielung gebracht werden.
Barockfeste in dem wunderschönen, von italienischen Malern und Stuckateuren ausgestalteten Festsaal des Köstritz nahe gelegenen Schlosses Crossen waren dagegen die Domäne der Vorsitzenden der Schütz-Akademie, Silke Leopold. Alle diese komplexen Vorhaben hätten ohne die Stützung aus Mitteln der MBM nicht verwirklicht werden können.
Wenn auch im weiteren Verlauf manche der Unternehmungen aus der Frühzeit der MBM wieder aufgegeben werden mussten, Bestand gewonnen hat die länderübergreifende Verzahnung von Projekten und damit die Sicherung dieser einzigartigen Kulturlandschaft.
Die mitteldeutsche Musiklandschaft ist seither international zu einem festen Begriff geworden. Und das erfüllt mich im Rückblick mit großer Freude und Dankbarkeit!

© Mitteldeutsche Barockmusik in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen e.V.

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